Israel und die kosmologischen Reiche des Alten Orients. Symbole der Ordnung in Eric Voegelins Order and History, Vol. 1

/ Hochschule für Philosophie – München, Kaulbachstraße 31 a

 

Das Voegelin-Zentrum für Politik, Kultur und Religion am Geschwister-Scholl-Institut der LMU München,

das Dipartimento di Filosofia - Università Cattolica del Sacro Cuore Milano

und die Eric-Voegelin-Gesellschaft e.V

 

veranstalteten den internationalen wissenschaftlichen Kongress:

 

Israel und die kosmologischen Reiche des Alten Orient

Symbole der Ordnung in Eric Voegelins  Order and History , Vol. 1

 

 

 

15./16. Mai 2017

 Hochschule für  Philosophie – Kaulbachstraße 31 a München

 

 

Die Veranstalter danken der Fritz Thyssen Stiftung
für die finanzielle Unterstützung bei der Durchführung dieser Konferenz
und der Drucklegung des Tagungsbandes.

 

 

TAGUNGSBERICHT

 

Um den 60. Jahrestag des Erscheinens des Auftaktband („Israel and Revelation“) von Eric Voegelins fünfbändigem Hauptwerk „Order and History“ (1956–1987) zu würdigen, wurde am 15. und 16. Mai 2017 in der Hochschule für Philosophie in München eine zweitägige wissenschaftliche Konferenz abgehalten. Unter dem Titel „Israel und die kosmologischen Reiche des Alten Orient“ sollten diejenigen Forschungslinien rekonstruiert, aktualisiert und kritisch diskutiert werden, die Voegelins Buch damals eröffnet hat.

 

Dabei sollte gezielt ein Dialog hergestellt werden: zwischen den Voegelin-Kennern und den Experten der Einzelwissenschaften, zwischen den theoretisch und den empirisch orientierten Disziplinen, zwischen den kontinentaleuropäischen Voegelin-Rezipienten und dessen Interpreten jenseits des Atlantiks. Altorientalistik, Archäologie, Judaistik, Theologie, Philosophie, Alte Geschichte, Politische Theorie – die von Voegelins erstem Band berührte Thematik schließt an viele Bereiche an. Dass es in diesen wissenschaftlichen Gebieten in den zurückliegenden sechs Jahrzehnten bereits zu einer Aneignung zufriedenstellenden kritischen Auseinandersetzungen, lässt sich nicht behaupten. Just diesem Desiderat wollte die Tagung durch das breite internationale und fachliche Spektrum der eingeladenen Referenten und Referentinnen Abhilfe verschaffen. Zumindest sollte ein Anfang gemacht werden, um einen für beide Seiten ertragreichen Austausch in Gang zu setzen.

 

Mit dem Veranstaltungsort München war Voegelin über viele Jahre verbunden. Hier baute er als erster Lehrstuhlinhaber das heutige Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaft auf und wirkte in den Jahren zwischen 1958 und 1969 mit Vorträgen innerhalb und außerhalb der Universität als akademisch und intellektuell prägende Figur. Auf diese Beziehung zur bayerischen Landeshauptstadt, in welche Voegelin zwanzig Jahre nach seiner Emigration in die USA im Jahre 1938 zurückgekehrt war, wiesen der gastgebende Leiter der Hochschule für Philosophie, Johannes Wallacher, ebenso hin wie der Dekan der Sozialwissenschaftlichen Fakultät an der LMU München, Hans-Bernd Brosius. Nicoletta Scotti Muth, Vorsitzende der Eric-Voegelin-Gesellschaft, und Massimo Marassi, Direktor der philosophischen Fakultät der Mailänder Università Cattolica del Sacro Cuore, wiesen die Konzeption und die Leitfragen dieser in deutsch-italienischer Kooperation veranstalteten Tagung auf.

 

Schon die beiden Hauptbestandteile des Kongress-Titels – die „kosmologischen Reiche des Alten Orient“ und „Israel“ – weisen aus Voegelins Perspektive die beiden Pole einer menschheitsgeschichtlichen Dynamik auf, die nachzuvollziehen auch Aufgabe der beiden Konferenz-Tage war. Die Imperien von Mesopotamien und des Alten Ägypten, die Voegelin hier mit dem Attribut „kosmologisch“ belegt hat, dienten dabei in Voegelins erstem Band von „Order and History“ gewissermaßen als Negativfolie, als kontrastierender Hintergrund, vor dem das historisch Neue mit der israelitischen Überlieferung scharfgezeichnet werden soll.  Was mit dem als terminus technicus „kosmologisch“ nicht unbedingt gebräuchlichen Ausdruck eigentlich gemeint sei, sollte das erste Panel der Tagung kritisch beleuchten.

 

Beim Übergang von der kosmologischen zur historischen Form lässt sich eine Konstante fixieren: der Form-Begriff selbst. Dessen Herkunft in der griechischen Metaphysik wollte Nicoletta Scotti Muth, die Vorsitzende der Eric-Voegelin-Gesellschaft und Hauptorganisatorin der Veranstaltung, in ihrem eröffnenden Vortag beleuchten. Zugleich sollte dies eine theoretische Einführung in die Grundpositionen von Voegelins Denken darstellen, um den noch mit Voegelins Werk vertrauten Zuhörerinnen und Zuhörern einen ersten Überblick zu bieten.

 

Die Anverwandlung von Konzepten der klassisch-antiken Philosophie von Platon und Aristoteles bei Voegelin sei aber nicht von einem rein restaurativen Interesse an einer nostalgisch das Alte verherrlichenden Flucht vor Modernität angeleitet. Vielmehr ziele gerade Voegelins Bezug auf angeblich überkommene Konzepte mitten ins Herz der Debatten um das moderne Verständnis von Wissenschaft und Vernunft. Voegelins Rückgriff auf zentrale Denkmuster der Alten sollte diese gerade fruchtbar machen als eine provokante Alternative zur seinerzeit dominanten neukantianischen Wissenschaftslehre, wie sie sich auch im Werk des sozialwissenschaftlichen Gründungsvaters Max Weber kodifiziert findet.

 

Das so von der Konferenz-Leiterin aufgespannte Feld von Voegelins Denken sollte nach der grundbegrifflichen Einleitung nun drei Altorientalisten die Möglichkeit geben, ihrerseits Anschlüsse herzustellen zwischen Voegelins Interpretation der Alten Reiche und ihren fachlichen Erkenntnissen.

 

Peter Machinist von der Harvard University wählte hierzu einen speziellen Zugang. Er zog die Rezeption von Voegelins „Israel and Revelation“ durch William Fowell Albright (1891–1971) heran, einem Experten für den Nahen Osten des Altertums, geradezu einer Autorität der Altorientalistik. Albright war nicht nur ein Zeitgenosse Voegelins; er teilte auch das Anliegen, die Analyse der frühen Hochkulturen zwischen Euphrat und Tigris in einen umgreifenden universalgeschichtlichen Rahmen einzuordnen. Mit dieser Vergleichsschiene konnten so zwei ähnlich ambitionierter Werke – Albrights „From the Stone Age to Christianity“ (1946) und Voegelins „Order and History“ – in ihrer Ausführung gegenübergestellt werden.

 

Dietrich Wildung oblag es, als früherer Direktor des Ägyptischen Museums in Berlin den Blick auf die von Voegelin ebenfalls als „kosmologisch“ einsortierten frühen Nil-Kulturen zu lenken. Dabei stellte Wildung das Thema des Zeitverständnisses der Alten Ägypter in den Mittelpunkt. Dieses ist, wie oben angeführt, ein zentraler Aspekt für die erst einmal gewöhnungsbedürftige Behauptung, dass die frühgeschichtlichen Kulturen des Alten Orients keine Geschichte gekannt hätten. In der Tat habe es im Alten Ägypten keine Historiographie gegeben, ja nicht einmal ein Verständnis einer geradlinigen geschichtlichen Erzählung von einem Gründungsmythos in die Gegenwart hinein. Lediglich in den Königslisten gebe es so etwas wie einen Ansatz zur linearen Anlage einer Chronologie. Das dominierende Zeitverständnis charakterisierte Wildung als „Zeitlosigkeit“, was er an verschiedenen Beispielen veranschaulichte.

 

Eine Schneise aus der Früh- in die sog. Vorgeschichte schlug der Assyriologe Giorgio Buccellati von der University of California. Während Voegelins Geschichtsdeutung mit den Zivilisationen von Mesopotamien und Ägypten einsetzt, unterstrich Buccellati die so ausgeklammerte Frage danach, ob sich ähnliche Ordnungsstrukturen nicht schon in vor-logischen und vor-sprachlichen Formen vorangegangener Kulturen angelegt gefunden hätten. Der Nachwelt überliefert seien solche Vor-Formen einer symbolischen Annäherung an so etwas wie eine kosmische Ordnung in Zeichnungen und Artefakten. Dass demzufolge der Kosmos als Ordnungsstruktur schon vor den kosmo-logischen Zivilisationen rudimentär zum Gegenstand gemacht wird, bildet nicht unbedingt einen Widerspruch zu Voegelin, stellt allerdings – wo schon ein gesamtmenschheitlicher Anspruch seinerseits erhoben wird – eine notwendige Ergänzung dar.

 

Wo das erste Panel die aus Voegelins Sicht in den altorientalischen Frühkulturen angelegte kosmologische Form definieren und diskutieren sollte, akzentuieren die Panels 3 und 4 das Neue an der historischen Form im Alten Israel. Das dazwischen positionierte zweite Panel übernahm hierbei eine Brückenfunktion. Von den Kulturen Mesopotamiens und Ägyptens hin zur jüdischen Offenbarung im Alten Israel – das ist eine Bewegung, die für Voegelin einen geistigen Fortschritt darstellt: von einem kompakten Denken hin zu einem höher differenzierten Bewusstsein. Damit man gerade in dieser Entwicklungsdynamik jetzt nicht die altorientalischen Reiche und das Alte Israel als statische Pole gegenüberstellt, sollte Panel 3 die Frage nach dem dynamischen Übergang vom einem Bewusstseinstyp zum anderen klären. Kurz gefragt: Was heißt für Voegelin Geschichte? Wie lässt es sich die angeblich erst mit dem Alten Israel aufkommende ‚historische Form‘ so denken, dass die Geburt der Geschichte zugleich ein Ereignis, ja das konstitutive Ereignis, in der Geschichte ist?

 

Zugleich sollte in dem Segment ergründet werden, wie sich ein adäquates Verständnis von Geschichte im Spannungsfeld von Philosophie, Offenbarung und Wissenschaft formiert. Dass die Synergien und Konflikte zwischen diesen Erkenntnisformen ausgelotet wurden, soll schon die personelle Zusammensetzung garantieren – ein Philosoph (Massimo Marassi), ein Theologe (Friedhelm Hartenstein) sowie ein Grenzgänger zwischen den genannten beiden Disziplinen und der Sozialtheorie (John Milbank) waren auf das Programm gesetzt.

 

Massimo Marassi – als Leiter des philosophischen Instituts an der UCSC Mailand Mitorganisator der Tagung – sprach über die systematische und transzendentale Struktur von Voegelins Geschichtsphilosophie. Bei diesem Vortrag kam wieder eine eher abstrakte Herangehensweise zum Zug, die die innere Architektur von Voegelins Geschichtsdenken explizit machen wollte und auch im Abgleich mit anderen möglichen Perspektiven einer Geschichtsphilosophie (Kant, Hegel) die von Voegelin vorgenommenen Weichenstellungen deutlich machen wollte.

 

Der protestantische Theologe Friedhelm Hartenstein, Lehrstuhlinhaber für Alttestamentliche Forschung (Evangelische Theologie) an der LMU München, war als Referent bei einer Tagung um den ersten Band von „Order and History“ als gesetzt gelten, schließlich hatte er schon in der deutschen Übersetzung mit seinem Nachwort eine kritische Einordnung zu Voegelins Israel-Buch bereitgehalten. Gemessen am damaligen alttestamentlichen Forschungsstand sei Voegelin durchaus auf der Höhe der Zeit gewesen, wenngleich er sich in der Einordnung und Interpretation mit dem Rückgriff auf bestimmte Gewährsmänner (insbesondere aus der theologischen Schule von Rads) auch deren Einseitigkeiten und blinde Flecke miteingehandelt habe. Besondere Beachtung schenkte Hartenstein der Frage nach der Auslegung der prophetischen Schriften, die bei Voegelin eher mangelhaft ausgefallen sei.

 

John Milbank konnte aufgrund einer Erkrankung nicht an der Tagung teilnehmen. Dabei hätte sein Vortrag mit dem Titel „Order, Representation and Liturgy. Voegelin’s Platonic and Biblical Metahistory“ nicht nur mit den Begriffen von Ordnung, Geschichte und Repräsentation einige von Voegelins Leitkonzepten klären wollen. Vielmehr noch hätte Milbank untersucht, wie problematisch sich die Verschmelzung der platonischen und biblischen Deutungslinie zu einem geschichtstheoretischen Rahmen gestalten könnte. Wo sind die Verbindungspunkte, wo die möglichen Bruchlinien, wenn Voegelin Bestände der Offenbarung und der Philosophie amalgamieren möchte?

 

Bei der abschließenden Diskussion hatte das Publikum, das sich aus interessierten Laien, ausgewiesenen Voegelin-Kennern sowie Studierenden und Lehrenden aus den behandelten Fachwissenschaften zusammensetzte, Gelegenheit, zu den Einzelreferaten und zu den thematischen Gesamtkomplexen Fragen zu stellen.

 

Diejenigen, die sich mit Voegelins weiterer Werksentwicklung auskannten, verwiesen zurecht darauf, dass sich Voegelin in den Jahren und Jahrzehnten langsam von bestimmten Topoi aus Band I wieder distanziert hatte. So habe Voegelin etwa seine allzu trennscharfe Zuordnung „kosmologisch = zyklisches Zeitverständnis“ und „nach-kosmologisch = lineares Zeitverständnis“ fallen lassen müssen, nachdem er – Stichwort: Historiogenesis – erkannt hatte, dass auch die kosmologischen Gesellschaften des Alten Orients bereits lineare Zeitmuster aufwiesen.

 

Der zweite Tag der Konferenz war Voegelins Deutung der universalhistorischen Rolle des Alten Israel gewidmet und insbesondere der Interpretation derjenigen Offenbarungsschriften, die man als das Alte Testament zusammenzufassen pflegt. Die Vorträge des Panels 3 thematisierten Voegelins Auslegung der spirituellen Texte vor dem Hintergrund der Forschungslage Mitte der 1950er Jahre, als Voegelins Band erschien, wie auch in Anbetracht der seither gewonnenen neuen Erkenntnissen.

 

Der Jesuit Dominik Markl, der angegliedert an das Istituto biblico in Rom in Südamerika lehrt, machte auf eine in der alttestamentlichen Forschung  wichtigen Punkt aufmerksam: dass das Aufkommen des Monotheismus nicht als schlagartiges Ereignis, sondern als gradueller Prozess verstanden werden muss. Die Anerkennung der überlegenen Göttlichkeit Jahwes bei gleichzeitiger entschiedener Ablehnung anderer Götter sei etwas gewesen, das erst nach der Exilszeit besonders in den Büchern Deuteronomium und Pseudo-Isaiah gefunden werden könne. In dem Zusammenhang aus göttlichem Gesetz und der Etablierung eines exklusiven Eingottglaubens wollte Markl so einen Punkt aufzeigen, den Voegelin in „Order and History“ nur unzureichend behandelt habe.

 

Das Buch Deuteronomium hätte auch der vorgesehene, leider kurzfristig entfallene Vortrag von Eckart Otto als Anknüpfungspunkt genommen. Statt dessen religionsgeschichtliche Bedeutung zu thematisieren, wollte Otto die Rezeption des Buches durch Eric Voegelin („Order and History“) und Max Weber („Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen“) zum Vergleichspunkt heranziehen. An der abweichenden Interpretation sollten die Unterschiede der Ansätze Voegelins und Webers zu Tage treten, die auf den ersten Blick methodologischer Natur seien, aber mehr noch auf einer gänzlich konträren Rationalitätsverständnis beruhen. Damit wäre – nunmehr von der Behandlung der konkreten Quellen aus - der Bogen zurückgeschlagen worden zum Eingangsvortrag von Scotti Muth, die Voegelins Neubegründung der Wissenschaft als Reaktion auf Max Webers Begründung der modernen Sozialwissenschaften.

 

Die Bedeutung der prophetischen Schriften wollte, nachdem der evangelische Theologe Friedhelm Hartenstein diese in seine kritische Kommentierung von Voegelins Band I von „Order and History“ bereits einbezogen hatte, von einer katholischen Warte aus Ignacio Carbajosa in den Fokus nehmen. Was Voegelin in einer Formulierung als „Exodus of Israel from itself“ verdichtet, beziehe sich durchaus auf einen wichtigen Aspekt in der Geschichte: Die jüdische Offenbarung berge in sich einen Gehalt, dessen Relevanz sich notwendig über die Geltung für ein Auserwähltes Volk Israel habe ausdehnen müssen. Die Propheten seien, wie Voegelin zurecht erkannt habe, die maßgeblichen Mittlerfiguren, die das Exodus-Symbol und seine Implikationen aus der ausschließlichen Bindung an ein bestimmtes Volk herauslösen und in ihrer Bedeutung menschheitlich auf alle Völker auszudehnen versuchten.

 

Während die Referate des ersten Panels dieses Konferenztages von Theologen katholischer und evangelischer Provenienz bestritten wurden, gab das abschließende Panel 4 auch zwei Gelehrten der Judaistik, ihrerseits gläubige Juden, Gelegenheit zu einer kritischen Auseinandersetzung. Von dieser Möglichkeit machten beide auch in dem Sinne Gebrauch, dass sie durchaus gewisse Einseitigkeiten oder Auslassungen von Voegelins Blick monierten – was dem Publikum Anlass für kontroverse Diskussionen bot.

 

So sehr Marvin Sweeney zu schätzen wusste, dass der christliche Denker Eric Voegelin mit dem Auftaktband „Israel and Revelation“ der jüdischen Offenbarung einen festen und bedeutsamen Platz in der Universalgeschichte einräumte, so wenig hielt dies den Gelehrten von der Claremont School of Theology, einer interreligiösen Institution in den USA, von einer Herausarbeitung einiger kritischen Fragen ab:

 

Bleibt für Voegelin das Judentum eine bloße Durchlaufstation für den geschichtlichen Prozess, der letztlich dann aber doch die wahre Erfüllung erst in einem – vielleicht doch überlegenen - christlichen Abendland findet? Warum verhandelt der 1956, also gerade einmal etwa zehn Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs veröffentliche Band die unausweichliche Frage danach, wie Gott noch als allmächtig und omnipräsent gedacht werden kann, wenn die „Ordnung der Geschichte“ letztlich in die Katastrophe der Shoa eingemündet sei, nur unzureichend? Darüber hinaus zeigte Sweeney Mängel in der Interpretation der biblischen Texte und eine sehr tendenziöse Auswahl bzw. Ausblendung von Schriften auf, die zu einer einseitigen, womöglich gar falschen, Deutung des frühen Judentums führten. So habe beispielsweise das Übergehen des Buches Ezechiel zugunsten einer Schwerpunktsetzung auf das Deuteronomium zu einer, ganz und gar nicht alternativlosen, Deutung des Konzeptes des Auserwählten Volkes geführt.

 

Catherine Cahlier von der Université Paris Ouest griff in ihrem Vortrag ein Zitat von Voegelin aus einem Brief an Leo Strauss aus dem Jahre 1944 auf, nachdem er, Voegelin, die Bedeutung der jüdischen Interpretation des Mittelalters eingesehen habe: „It concerns what is for me a foreign world and I can only learn.“ Was Voegelin letztlich bis zu seinem Israel-Buch gelernt habe, sei laut Chalier zu wenig gewesen, um tatsächlich in die fremde Welt des Judentums vorzustoßen. Voegelin habe etwa in überwiegender Mehrheit doch wieder vorrangig auf die Interpretationen der christlichen Theologie rekurriert. Die gesamte rabbinische Literatur, der sich über Jahrhunderte erstreckende innerjüdische Streit um die Auslegung der Schriften des Alten Testaments – all das werde von Voegelin nicht herangezogen, fast so als habe die nachbiblische jüdische Theologie kein Eigenrecht. Vielleicht verstecke sich darin ein Überlegenheitsdenken des Christentums, wenn er etwa behauptet, das Judentum kenne in seiner Betonung des kollektiven Symbols von Volk und Bund keine Gottesunmittelbarkeit der individuellen Person. Die „human universality“, auf die Voegelin seinem eigenen Bestreben zufolge abziele, sei im Endeffekt doch nichts Anderes als eine verkappte „Christian universality“.

 

David Walsh von der Catholic University of America in Washinton, D.C. hob die Bedeutung des Konzeptes der Offenbarung hervor, das eben nicht allein auf einen kanonisierten Schriftenkomplex bezogen sei, sondern einen bestimmten Erfahrungsmodus kennzeichne, der oftmals als irrational gebrandmarkt wird und mit dem Bann des Gegenaufklärerischen belegt sei. Dass Voegelin diesen Bann jedenfalls für sein eigenes Werk gebrochen habe und sich um eine Rehabilitierung der Offenbarung Seit an Seit mit der Philosophie bemüht habe, sei sein unbestreitbares Verdienst. Auf einen weiteren Akzent verweist der von Walsh gewählte Titel seiner Einlassungen: „History as constituted by what it cannot contain“. Geschichte würde durch etwas ermöglicht, was sie nur schwer als fassbaren historischen Gegenstand betrachten und greifen könnte: die Transzendenz – für Walsh das schlechthinnige Leitthema von Voegelins Geschichtsphilosophie.

 

Die Diskussion griff zum einen den Impuls u.a. von Markls Vortrag auf und fragte nach dem Zusammenhang von aufkommendem Monotheismus und politischer Selbstkonstituierung, wobei freilich für den Kenner wieder die bekannte Debatte um die politische Theologie in Erinnerung gerufen wurde, in der u.a. – gerade mit Bezug auf den altorientalischen Raum – Jan Assmann prominent Position bezogen hatte. Darüber hinaus wurde skeptisch hinterfragt, wie sinnvoll das Unterfangen sei, überhaupt noch so etwas wie eine Universalgeschichte zu schreiben – gerade in Kenntnis der Probleme von Perspektivität und Selektivität angesichts der enormen Masse an immer schneller anwachsenden Erkenntnissen. Gerade aber durch eine solche historische Weitwinkelperspektive ließen sich überhaupt erst grundlegende Kategorien ausprägen, die den Spezialwissenschaften sonst verschlossen blieben und von denen sie für die Herausarbeitung ihrer eigenen Ansätze durchaus profitieren könnten. So wurde der mit dieser Konferenz unternommene Versuch, zwischen Voegelin-Interpreten einerseits und den Fachwissenschaftlern andererseits ein Forum zu einem ersten wechselseitigen Austausch auf Augenhöhe zu bieten einhellig begrüßt. Es würde nun gelten, die daraus resultierenden Kommunikationskanäle zu verfestigen, um der geschichtsphilosophischen Reflexion neue empirische Nahrung zuzuführen und die Forschung mit neuen theoriegeleiteten Ansätzen und Konzepten zu unterfüttern.

 

 

 

 

 

 

 

 

Programm:

 

 

 

Montag, 15. Mai 2017

 

9.00-9.30     Begrüßung

 

Panel 1. Zivilisationsformen

 

9.30-11.00

 

Nicoletta Scotti Muth (Università Cattolica del Sacro Cuore - Milano):

Die Anwendung des klassischen Form-Begriffes in Order and History 1

 

Peter Machinist (Harvard University):

Eric Voegelin and his Orientalist Critics: The Case of William Foxwell Albright

 

Pause 11.00-11.30

 

11.30-13.00

 

Dietrich Wildung (FU Berlin und ehm. Direktor des Ägyptischen Museums Berlin):

Zeitlos - Zum Geschichtsbild der alten Ägypter

 

Giorgio Buccellati (University of California-LA):

The cosmos before cosmology. Forebodings of order in prehistory.

 

 

 

Panel 2. Ordnung und Geschichte

 

15.00-16.30

 

Massimo Marassi (Università Cattolica del Sacro Cuore - Mailand):

Die symbolische und transzendentale Struktur der Geschichte: Order and History 1

 

Friedhelm Hartenstein (Ludwig-Maximilians Universität - München):

Israels ‘Entdeckung‘ der Geschichte als hermeneutischer Schlüssel für Eric Voegelins Order and History 1

 

16.30-17.00 Pause

 

17.00-18.30

 

John Milbank (University of Nottingham):

Order, Representation and Liturgy: Voegelin's Platonic and Biblical Metahistory

VORTRAG MUSS LEIDER ENTFALLEN!

 

Podiumsdiskussion

 

 

Dienstag, 16. Mai 2017

 

Panel 3.  Aus dem Alten Testament

 

9.30-11.15

 

Dominik Markl SJ (Istituto biblico - Rom)

Divine Law and the Emergence of Monotheism

 

Eckart Otto (Ludwig-Maximilians-Universität - München)

Assyria and Israel. The Political Theory of the Book of Deuteronomy and its Reception by Max Weber and Eric Voegelin

 

Pause 11.15-11.45

 

11.45-12.30

 

Ignacio Carbajosa (Universidad San Dámaso-Madrid):

'The Exodus of Israel from itself': the Role of the Prophets in Voegelin's Israel and Revelation

 

 

Panel 4.  Israel und Offenbarung

 

15.00-16.30

 

Marvin A. Sweeney (Claremont School of Theology):

Judaism and Revelation

 

David Walsh (Catholic University of America - Washington):

Voegelin's Handling of the Event of Revelation in Israel and Revelation

 

16.30-17.00 Pause

 

17.00-18.30

Catherine Chalier (Université Paris Ouest):

"It concerns what is for me a foreign world and I can only learn" (Eric Voegelin): What about Judaism in Order and History?

Podiumsdiskussion

 

 

Hier können Sie den Programm-Flyer als pdf-Datei herunterladen.

The poster for the conference including further information can be downloaded here as a pdf file.

Zurück